Vor 110 Jahren flog erstmals Post
Am 18.2.2022 jährte sich relativ unbemerkt ein besonderes Jubiläum:
Die Rhein-Main-Flugpost hatte für die Luftpostbeförderung den Segen der Reichspost, galt als amtlich und beim Flug wurde quasi als Bestätigung die Reichsflagge mitgeführt, wobei man sich durchaus fragen kann, ob man in der Luft etwaige Kontrollen erwartete? Spaß beiseite, der Segen der Reichspost kam nicht von ungefähr: Hinter der Idee standen die großherzogliche Familie von Hessen und August Euler. Der Mann betrieb in Neu Isenburg eine Flugzeugfabrik, hatte seit 1910 die Pilotenlizenz mit der Nr. 1 in Deutschland inne und durfte zudem den Griesheimer Exerzierplatz, gelegen in Darmstadt, für seine Pilotenschule nutzen. Man braucht also nicht viel Fantasie, um zu erahnen, dass die Beziehung Herrn Eulers zur großherzoglichen Familie sehr gut waren, was dann sicher auf die Reichspost einen gewissen Eindruck machte.
All das führte zu dem interessanten und vielfältigen Sammelgebiet „Flugpost am Rhein und Main 1912“, ganz hervorragend nachzulesen unter derselben Überschrift bei Leo Herschlein, publiziert in 2022.
Zeitlich die Nase vorn hatte jedoch Hans Grade (1879 in Köslin-1946 in Borkheide), der mit August Euler befreundet war. Nachfolgend eine historische Ansichtskarte, das weiße Kreuz markiert Hans Grade (Abb. 1).
In nur acht Meter Höhe flog das Flugzeug mit Flügeln in drei Etagen über den Cracauer Acker in Magdeburg. Einen Flugzeugnachbau kann man heute im Magdeburger Technikmuseum besichtigen.
In 1909 erfolgte dann der Umzug ins brandenburgische Bork, vielleicht weil dort für weniger Geld mehr Flächen für Werkstatt, den Bau und Erprobung von Flugzeugen zur Verfügung standen und weil die Nähe Berlins mehr zahlungskräftige Flugschüler erwarten ließ. Grade war kein Träumer, sondern bemüht, seine Erfindung zu vermarkten, um sich und seiner Familie ein Einkommen zu garantieren.
Und so setzte er beim 1909 beim „Lanz Preis der Lüfte“ auch alles auf eine Karte, flog als erster eine geschlossene Acht, stürzte dann zwar mit seinem Flugzeug ab, blieb unverletzt und gewann! 40.000 Goldmark war die stolze Siegprämie, die er natürlich in den Aufbau seiner Firma in Bork investierte.
So konnte er 1910 in Bork seine Flugzeugfabrik gründen und im gleichen Jahr auch die erste Flugschule Deutschlands, zeitlich vor August Euler. Er selbst bekam vom Berliner Luftschifferverband (Man beachte die Bezeichnung, die dem anderen Flugapparat huldigte) die Pilotenlizenz Nr. 2 ausgestellt.
Eine weitere historische Karte zeigt die „Grade-Fliegerschule Bork“, abgestempelt in „Kiel“ am 1.7.1911 (Abb. 2,3 Anschriftenseite).
Auch hier war das sicher kein Spleen eines Technik- oder Postfans. Vielmehr hatte Grade den Aufmerksamkeits- und Werbeeffekt, den so eine Beförderung auslösen konnte und die enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten im Blick, die die Beschleunigung der Postbeförderung mittels Luftpost mit sich brachte. Und so wurden auch einige wenige Stempel für die Poststücke gefertigt, die die durchaus gefährlichen Weg in die Lüfte nahmen.
Man muss sich hier klarmachen, dass wir in 1912 kein Ganzmetallflugzeug wie eine JUNKERS vor uns haben, siehe BRD Michel 1523, oder ein schon fortgeschrittenes Motorflugzeug, wie es auf der schönen Blockausgabe zum Tag der Briefmarke 1997 auf BRD Michel Block 41 zu sehen ist.
Vielmehr handelte es sich bei dem GRADE-Eindecker um ein überaus filigranes Geschöpf aus Metall mit Textilbespannung, woran der riesige Holz-Propeller den robustesten Eindruck macht.
Postalisch wurde die erste Postbeförderung vom „Verkehrsverein Bahnhof Bork bei Berlin“ begleitet,
Unten enthielt die Vignette die vorbezeichnete Bezeichnung in zwei Zeilen, „FLUGPOST“ hervorgehoben, und mittig war Platz zum Aufkleben der Reichspost-Briefmarke. Geschickt erweckte man so amtlich postalischen Charakter, den aber nur die Marke, der Poststempel und die sich dem Flug anschließende Postbeförderung hatte. Jedenfalls wurden wenige Belege mit dieser Vignette versehen und befördert. Diese stellen die großen Raritäten der Pionierluftpost dar.
Im Schatten der spektakulären Vignette, als halbamtliche Flugmarke bezeichnet, gibt es weitere Pionier-Luftpost-Beleg aus Bork bzw. Brück, die noch seltener sind, nachfolgend kann einer abgebildet werden (Abb. 6, vom Eigentümer genehmigt)
Er wird vom MICHEL mit dem hälftigen Wert eines Belegs mit der Vignette/halbamtlichen Flugpostmarke bewertet und ist doch so selten, dass er in 2020 selbst der Prüferin Maria Brettl bislang erst zur Erstellung ihres Attests („Echt. Eine sehr seltene Karte.“) für ebendiesen Beleg vorgelegen hat. Daraus folgt wieder einmal: Es gibt immer was zu entdecken und Katalogbewertungen sind relativ.
Und nun wenden wir uns Belegen zu, für die man nicht bei Auktionen mit hohem Einsatz kämpfen muss, sondern Jubiläumsbelegen, die ähnlich wie das erwähnte Jubiläum selbst leider immer mehr ein Schattendasein fristen. Zu Unrecht, denn sie sind wunderbar gestaltet und erinnern uns an die Pioniertat des Hans Grade.
Es ging bereits 1952 los, zum 40. Jubiläum. In der DDR verausgabte man eine Ganzsache mit privatem Zudruck, die Berliner Postverwaltung gab eine Privatganzsache heraus. Diese ist nachfolgend abgebildet, im linken Bereich ist die wohl von Grade selbst entworfene Vignette zu sehen, in der mittig „Platz für (die) Freimarke“ der Reichspost war.
Die Ganzsache mit Werteindruck BERLIN (West) MICHEL 82 ist zusätzlich und damit portogerecht für die Luftpostbeförderung frankiert mit BRD MICHEL 180 mit SoSt. „Berlin/Zentralflughafen“ 26.10.52, einem Tag nach Ersttag der Marke.
Insgesamt ein sehr schöner Beleg, der zudem darauf hinweist, dass Grades Vignette, katalogisiert als halbamtliche Flugpostmarke, als erste Luftpostmarke der Welt gelten kann (Abb. 7).
Darauf folgte die Mitteilung, dass die UdSSR nicht mehr beabsichtige, aus der DDR Düsenflugzeuge zu beziehen. Es kamen weitere Produktionsschwierigkeiten hinzu und das Produkt hinkte bereits vor Auslieferungsreife dem Weltmarktstandard hinterher; 1961 erfolgte dann das Aus des Projekts.
Daran wollte man 1959 zum 10. Jahrestag der DDR noch nicht glauben und es gab am 7.10.1959 zwei Sonderstempel, einem in „Brück“ mit Düsenflugzeug der DDR mittig und einen in „Borkheide“, der den 50. Jahrestag der Verleihung des Lanz-Preises an Hans Grade thematisiert. Nachfolgend dazu ein mit 25 Pfg. portogerecht frankierter Luftpost-Beleg, auf dem beide Sonderstempel klar abgeschlagen sind (Abb. 8).
Natürlich geht es hier mit 1962 weiter, dem 50. Jahrestag der ersten Postbeförderung von 1912. Die DDR Ganzsache MICHEL P 70 I mit 10 Pfg. Pieck ist dann mit gleich vier verschiedenen SoSt., zudem in zwei Farben, versehen (Abb. 10).
Da das Automobil zunächst ein Luxusgut war, baute man auch Luxus-Automobile und erst die wirtschaftliche Not nach dem ersten Weltkrieg zwang zum Umdenken, das selbst heute immer noch nicht ganz bei der deutschen Automobilindustrie angekommen ist und zwar aus einem ganz banalen Grund: Mit Kleinwagen lässt sich nur kleines Geld verdienen! Hans Grade baute zwischen 1922-1927 mit mehreren hundert Angestellten ca. 2.000 Automobile. 1927 mussten die Grade Fahrzeugwerke AG Konkurs anmelden und Hans Grade lebte in der Folgezeit mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und von Forschungsaufträgen. Um an solche zu kommen, trat er 1940 auch der NSDAP bei. Offenbar hat er dort nur eine untergeordnete Rolle gehabt, ansonsten hätte die sowjetische Besatzungsmacht es nicht gestattet, ihm die 1945 beschlagnahmte Firma wieder zu übereignen.
Grade war schon zu Lebzeiten eine Legende und auch im Film ein Star:
1914 war er der erste Pilot, der in einem Film zu sehen war. 1935 ist er mit seinem Flugapparat in Leni Riefenstahls Propagandafilm „Wunder des Fliegens“ zu sehen, in dem der Flieger Heinz Udet die Hauptrolle spielt. Und 1938 spielt Grade sich selbst im Ufa-Film „Ziel in den Wolken.“
Heute kennt man die Brüder Wright als diejenigen, die North Carolina/USA 1903 den ersten Motorflug überhaupt absolviert haben. Hans Grade ist etwas aus der Wahrnehmung verschwunden, obwohl er ja in Deutschland der Flugpionier war.
Das 75. Jubiläum der ersten Postbeförderung führte zu einer Luftpostwerbeschau mit einer Sonderpostbeförderung in Borkheide und zu zahlreichen Sammlerbelegen, nachfolgend vom 19.7.87. Die Anlasskarte durfte auch schon zu DDR-Zeiten viel weiter als die historischen sechs Kilometer fliegen, Landeplatz war Zürich-„Dübendorf“/Schweiz, gestempelt am 3.8.87 mit schönem Aviatik-Stempel (Abb. 13).