Ältester Briefmarkensammlerverein Deutschlands


Vor 110 Jahren flog erstmals Post

Am 18.2.2022 jährte sich relativ unbemerkt ein besonderes Jubiläum:

Am 18.2.1912 wurden erstmal in Deutschland Postbelege durch ein Flugzeug befördert. Dies geschah durch ein Grade-Flugzeug auf der sechs Kilometer kurzen Strecke zwischen Bork und Brück im Brandenburgischen, der Pilot hieß Hermann Pentz. Anders als die Post, die ab 12.6.1912 zwischen Rhein und Main flog, war die Grade-Post privater Natur, d.h. die Post wurde auf Eigeninitiative mit einem Flugzeug befördert und auf dem Flugfeld von einem Postbeamten in Empfang genommen.
Die Rhein-Main-Flugpost hatte für die Luftpostbeförderung den Segen der Reichspost, galt als amtlich und beim Flug wurde quasi als Bestätigung die Reichsflagge mitgeführt, wobei man sich durchaus fragen kann, ob man in der Luft etwaige Kontrollen erwartete? Spaß beiseite, der Segen der Reichspost kam nicht von ungefähr: Hinter der Idee standen die großherzogliche Familie von Hessen und August Euler. Der Mann betrieb in Neu Isenburg eine Flugzeugfabrik, hatte seit 1910 die Pilotenlizenz mit der Nr. 1 in Deutschland inne und durfte zudem den Griesheimer Exerzierplatz, gelegen in Darmstadt, für seine Pilotenschule nutzen. Man braucht also nicht viel Fantasie, um zu erahnen, dass die Beziehung Herrn Eulers zur großherzoglichen Familie sehr gut waren, was dann sicher auf die Reichspost einen gewissen Eindruck machte.
All das führte zu dem interessanten und vielfältigen Sammelgebiet „Flugpost am Rhein und Main 1912“, ganz hervorragend nachzulesen unter derselben Überschrift bei Leo Herschlein, publiziert in 2022.
Zeitlich die Nase vorn hatte jedoch Hans Grade (1879 in Köslin-1946 in Borkheide), der mit August Euler befreundet war.  Nachfolgend eine historische Ansichtskarte, das weiße Kreuz markiert Hans Grade (Abb. 1).



Hans Grade wurde in Köslin geboren und war von Jugend an technikbegeistert. Bereits 1903 konstruierte er in Köslin sein erstes Motorrad und nach Abschluss seines Ingenieursstudiums an der TH Charlottenburg (1900-1904) gründete er in Magdeburg die Grade-Motoren-Werke. Der Stadt an der Elbe blieb er vier Jahre treu, trat im Rahmen seines Militärdienstes in ein Pionier-Batallion ein und wandte sich dort dem Flugzeugbau zu. Am 28.10.1908 schaffte er dann, mit seinem selbst gebautem Dreidecker, angetrieben von einem Sechszylinder-Zweitakt-Motor, die Rekordstrecke von 100 Metern zu fliegen, was uns heute ein Lächeln entlockt, aber aller Anfang ist schwer.
In nur acht Meter Höhe flog das Flugzeug mit Flügeln in drei Etagen über den Cracauer Acker in Magdeburg. Einen Flugzeugnachbau kann man heute im Magdeburger Technikmuseum besichtigen.
In 1909 erfolgte dann der Umzug ins brandenburgische Bork, vielleicht weil dort für weniger Geld mehr Flächen für Werkstatt, den Bau und Erprobung von Flugzeugen zur Verfügung standen und weil die Nähe Berlins mehr zahlungskräftige Flugschüler erwarten ließ. Grade war kein Träumer, sondern bemüht, seine Erfindung zu vermarkten, um sich und seiner Familie ein Einkommen zu garantieren.
Und so setzte er beim 1909 beim „Lanz Preis der Lüfte“ auch alles auf eine Karte, flog als erster eine geschlossene Acht, stürzte dann zwar mit seinem Flugzeug ab, blieb unverletzt und gewann! 40.000 Goldmark war die stolze Siegprämie, die er natürlich in den Aufbau seiner Firma in Bork investierte.
So konnte er 1910 in Bork seine Flugzeugfabrik gründen und im gleichen Jahr auch die erste Flugschule Deutschlands, zeitlich vor August Euler. Er selbst bekam vom Berliner Luftschifferverband (Man beachte die Bezeichnung, die dem anderen Flugapparat huldigte) die Pilotenlizenz Nr. 2 ausgestellt.
Eine weitere historische Karte zeigt die „Grade-Fliegerschule Bork“, abgestempelt in „Kiel“ am 1.7.1911 (Abb. 2,3 Anschriftenseite).




Am 18.2.1912 war es dann soweit: Der Pilot Hermann Pentz beförderte mit einem Grade-Flugzeug ca. 100 Poststücke von Bork ins sechs Kilometer entfernte Brück, wo die Post noch auf dem Flugfeld von einem Postbeamten in Empfang genommen wurde.
Auch hier war das sicher kein Spleen eines Technik- oder Postfans. Vielmehr hatte Grade den Aufmerksamkeits- und Werbeeffekt, den so eine Beförderung auslösen konnte und die enormen wirtschaftlichen Möglichkeiten im Blick, die die Beschleunigung der Postbeförderung mittels Luftpost mit sich brachte. Und so wurden auch einige wenige Stempel für die Poststücke gefertigt, die die durchaus gefährlichen Weg in die Lüfte nahmen.
Man muss sich hier klarmachen, dass wir in 1912 kein Ganzmetallflugzeug wie eine JUNKERS vor uns haben, siehe BRD Michel 1523, oder ein schon fortgeschrittenes Motorflugzeug, wie es auf der schönen Blockausgabe zum Tag der Briefmarke 1997 auf BRD Michel Block 41 zu sehen ist.
Vielmehr handelte es sich bei dem GRADE-Eindecker um ein überaus filigranes Geschöpf aus Metall mit Textilbespannung, woran der riesige Holz-Propeller den robustesten Eindruck macht.

In dem Fluggerät gab es sicher keinen Laderaum, vielmehr dürfte der Pilot die wenigen Poststücke in einem Beutel bei sich geführt haben…Nachfolgend BRD Michel 1523 Bogenrandecke aus 1991; die Markenausgabe war bereits zu DDR erdacht wurden und eine Postkarte aus 1913, aufgegeben im schweizerischen „St. Gallen“ 22.5.1913 mit der Bildbezeichnung „Roever auf Grade-Eindecker.“ (Abb. 4,5). Demnach war der Flug und damit die Postbeförderung durchaus ein Wagnis!
Postalisch wurde die erste Postbeförderung vom „Verkehrsverein  Bahnhof  Bork bei  Berlin“  begleitet,




der wohl nach Zeichnungen Hans Grades die bekannten violetten Vignetten „FLUGPOST BORK-BRÜCK“ herausgab, die oben einen Briefumschlag vor einer aufwärts strebenden Taube abbildete.
Unten enthielt die Vignette die vorbezeichnete Bezeichnung in zwei Zeilen, „FLUGPOST“ hervorgehoben, und mittig war Platz zum Aufkleben der Reichspost-Briefmarke. Geschickt erweckte man so amtlich postalischen Charakter, den aber nur die Marke, der Poststempel und die sich dem Flug anschließende Postbeförderung hatte. Jedenfalls wurden wenige Belege mit dieser Vignette versehen und befördert. Diese stellen die großen Raritäten der Pionierluftpost dar.
Im Schatten der spektakulären Vignette, als halbamtliche Flugmarke bezeichnet, gibt es weitere Pionier-Luftpost-Beleg aus Bork bzw. Brück, die noch seltener sind, nachfolgend kann einer abgebildet werden (Abb. 6, vom Eigentümer genehmigt)



Der rote EinkreisSt. „VON FICHTENWALDE NACH BRÜCK BEFÖRDERT DURCH GRADE-FLIEGER“, im MICHEL Flugpostkatalog unter Nr. 7 f 06 registriert, ist links auf einer Karte ab „Brück“ 6.3.12 abgeschlagen.
Er wird vom MICHEL mit dem hälftigen Wert eines Belegs mit der Vignette/halbamtlichen Flugpostmarke bewertet und ist doch so selten, dass er in 2020 selbst der Prüferin Maria Brettl bislang erst zur Erstellung ihres Attests („Echt. Eine sehr seltene Karte.“) für ebendiesen Beleg vorgelegen hat. Daraus folgt wieder einmal: Es gibt immer was zu entdecken und Katalogbewertungen sind relativ.
Und nun wenden wir uns Belegen zu, für die man nicht bei Auktionen mit hohem Einsatz kämpfen muss, sondern Jubiläumsbelegen, die ähnlich wie das erwähnte Jubiläum selbst leider immer mehr ein Schattendasein fristen. Zu Unrecht, denn sie sind wunderbar gestaltet und erinnern uns an die Pioniertat des Hans Grade.
Es ging bereits 1952 los, zum 40. Jubiläum. In der DDR verausgabte man eine Ganzsache mit privatem Zudruck, die Berliner Postverwaltung gab eine Privatganzsache heraus. Diese ist nachfolgend abgebildet, im linken Bereich ist die wohl von Grade selbst entworfene Vignette zu sehen, in der mittig „Platz für (die) Freimarke“ der Reichspost war.
Die Ganzsache mit Werteindruck BERLIN (West) MICHEL 82 ist zusätzlich und damit portogerecht für die Luftpostbeförderung frankiert mit BRD MICHEL 180 mit SoSt. „Berlin/Zentralflughafen“ 26.10.52, einem Tag nach Ersttag der Marke.
Insgesamt ein sehr schöner Beleg, der zudem darauf hinweist, dass Grades Vignette, katalogisiert als halbamtliche Flugpostmarke, als erste Luftpostmarke der Welt gelten kann (Abb. 7).


1959 war die DDR in ihren 1955 gegründeten VVB Flugzeugbau Dresden dabei, eine eigene Flugzeugindustrie zu etablieren. Bekanntlich stand das Mega-Projekt mit bis zu 25.000 Beschäftigten unter keinem guten Stern: Am 4.3.1959 stürzte nach einem Start in Dresden bei Ottendorf-Okrilla der mit vier Mann Besatzung versehene Prototyp 152 infolge eines Strömungsabrisses ab.
Darauf folgte die Mitteilung, dass die UdSSR nicht mehr beabsichtige, aus der DDR Düsenflugzeuge zu beziehen. Es kamen weitere Produktionsschwierigkeiten hinzu und das Produkt hinkte bereits vor Auslieferungsreife dem Weltmarktstandard hinterher; 1961 erfolgte dann das Aus des Projekts.
Daran wollte man 1959 zum 10. Jahrestag der DDR noch nicht glauben und es gab am 7.10.1959 zwei Sonderstempel, einem in „Brück“ mit Düsenflugzeug der DDR mittig und einen in „Borkheide“, der den 50. Jahrestag der Verleihung des Lanz-Preises an Hans Grade thematisiert. Nachfolgend dazu ein mit 25 Pfg. portogerecht frankierter Luftpost-Beleg, auf dem beide Sonderstempel klar abgeschlagen sind (Abb. 8).


Der auf dem Beleg als Empfänger ausgewiesene Herr Herbert Bätz aus dem thüringischen „Sonneberg“ war ein überaus rühriger und engagierter Aerophilatelist (Man denke an die schönen Postsegelflug-Belege Sonneberg 1957), der in Anlehnung an die Zu- und Ableitungen von Luft- und Zeppelinpost im Deutschen Reich es nicht versäumte, zu dem Ereignis europaweit Zuleitungspost zu organisieren. Nachfolgend einer von vielen Belegen beispielhaft ab „Stockholm“ (Abb. 9).


Die Bewertung nach MICHEL oder SIEGER ist hier kaum relevant, dennoch sind solche Belege nicht häufig. Zudem sind sie ein gutes Zeitdokument auch für die Begeisterung, die gerade die Aerophilatelie auszulösen vermochte als Fliegen noch ein Luxus-Gut und für die meisten Sammler unerreichbar war.
Natürlich geht es hier mit 1962 weiter, dem 50. Jahrestag der ersten Postbeförderung von 1912. Die DDR Ganzsache MICHEL P 70 I mit 10 Pfg. Pieck ist dann mit gleich vier verschiedenen SoSt., zudem in zwei Farben, versehen (Abb. 10).


Wiederum verausgabte auch die Bundespost BERLIN verschiedene Privatganzsachen nun zum 50. Jubiläum der ersten deutschen Luftpost, diesmal mit Werteindruck BERLIN (West) Michel 203. Nachfolgend eine mit SoSt. „BERLIN FLUGHAFEN TEGEL“ 18.2.62 und Abb. des Flugapparates Hans Grades (Abb. 11).


1968 führte man zur 5. Fläming-Briefmarkenausstellung einen Schmuckumschlag, der zeigt, wie es mit Hans Grade 1908 in Magdeburg mit dem Motorflug begann. Der SoSt. „Brück“ 6.10.68 zeigt historisch korrekt den Dreifach-Decker, ein Umstand, der uns ohne historischen Exkurs wohl kaum aufgefallen wäre. (Abb. 12)


Der beigesetzte blaue Stempel zeigt ein Automobil, was zunächst wundert. Ein Blick in die Biografie Grades lehrt jedoch, dass er im I. Weltkrieg Flugzeuge wartete und reparierte und sich schon 1918, also vor dem Versailler Verbot von 1919, Militärflugzeuge zu führen, sich weitsichtig auf den Automobilbau verlegte. Manche Biografien sprechen sogar davon, dass Hans Grade den ersten deutschen Kleinwagen entwickelte.
Da das Automobil zunächst ein Luxusgut war, baute man auch Luxus-Automobile und erst die wirtschaftliche Not nach dem ersten Weltkrieg zwang zum Umdenken, das selbst heute immer noch nicht ganz bei der deutschen Automobilindustrie angekommen ist und zwar aus einem ganz banalen Grund: Mit Kleinwagen lässt sich nur kleines Geld verdienen! Hans Grade baute zwischen 1922-1927 mit mehreren hundert Angestellten ca. 2.000 Automobile. 1927 mussten die Grade Fahrzeugwerke AG Konkurs anmelden und Hans Grade lebte in der Folgezeit mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und von Forschungsaufträgen. Um an solche zu kommen, trat er 1940 auch der NSDAP bei. Offenbar hat er dort nur eine untergeordnete Rolle gehabt, ansonsten hätte die sowjetische Besatzungsmacht es nicht gestattet, ihm die 1945 beschlagnahmte Firma wieder zu übereignen.
Grade war schon zu Lebzeiten eine Legende und auch im Film ein Star:
1914 war er der erste Pilot, der in einem Film zu sehen war. 1935 ist er mit seinem Flugapparat in Leni Riefenstahls Propagandafilm „Wunder des Fliegens“ zu sehen, in dem der Flieger Heinz Udet die Hauptrolle spielt. Und 1938 spielt Grade sich selbst im Ufa-Film „Ziel in den Wolken.“
Heute kennt man die Brüder Wright als diejenigen, die North Carolina/USA 1903 den ersten Motorflug überhaupt absolviert haben. Hans Grade ist etwas aus der Wahrnehmung verschwunden, obwohl er ja in Deutschland der Flugpionier war.
Das 75. Jubiläum der ersten Postbeförderung führte zu einer Luftpostwerbeschau mit einer Sonderpostbeförderung in Borkheide und zu zahlreichen Sammlerbelegen, nachfolgend vom 19.7.87. Die Anlasskarte durfte auch schon zu DDR-Zeiten viel weiter als die historischen sechs Kilometer fliegen, Landeplatz war Zürich-„Dübendorf“/Schweiz, gestempelt am 3.8.87 mit schönem Aviatik-Stempel (Abb. 13).


Und noch viel weiter schaffte es Post aus Bork, nachfolgend zugeleitet ab „Borkheide“ 18.2.87 mit einem INTERFLUG-Sonderflug Berlin-Peking und retour mit einer Passagiermaschine sowjetischer Bauart IL 62, vorder- und rückseitig mit chinesischen Ankunfts- bzw. Durchgangsstempeln (Abb . 14).


Der Autor hat unter Einbeziehung der neun an Hans Grade erinnernden SoSt. der DDR-Post, die im Artikel „Warum Hans Grade keine Marke bekam“ aus der DBZ 5/2000, insgesamt 14 verschiedene SoSt. allein der DDR zu Ehren des Flugpioniers festgestellt. Unter Luftpostsammlern auch moderneren Materials ist also der erste deutsche Motorflieger kein Unbekannter. Das das Sammeln moderner Luftpostbelege etwas aus der Mode gekommen ist, liegt auch an Hans Grade. Er hat mit seinem ingenieurtechnischen Geschick und seinem Wagemut das Tor dafür geöffnet, das wir heute einen Flug nicht mehr als Wagnis, sondern als ein alltägliches Verkehrsmittel wahrnehmen dürfen.

Dr. Axel Eska, IPV 1877 Dresden e.V.

Quellen: www.wikipedia, MICHEL Katalog und MICHEL Flugpost Katalog, „Flugpost am Rhein und Main“ im Eigenverlag von Leo Herschlein, „Warum Hans Grade keine Marke bekam“ von P. Fischer und A. Peter, DBZ 5/2000 sowie den Artikel von Johanna Uminski in der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 18.2.2022, S. 19 mit interessanten Detaillinformationen, dabei den Umstand, dass die Postbeförderung sogar gefilmt wurde.