Ältester Briefmarkensammlerverein Deutschlands


"Damenbrief" nach Heiligendamm

(vorgestellt von Dr. Axel Eska, IPV)

Sommer, Sonne, Ostsee war früher war mal ein Spruch. Heute muss man sich das leisten können, besonders wenn man an in der „Weißen Stadt am Meer“ in Heiligendamm absteigt. Logieren ist hier wohl das zutreffendere Verb.
Das erste Seebad Kontinentaleuropas (!) wurde 1793 vom mecklenburgischen Groß-herzog Franz I. gegründet.
Ein Wissenschaftler aus Göttingen sowie der Leibarzt des Großherzogs hatten dazu die Anregung gegeben. Der Wissenschaftler verfasste einen Artikel mit der Frage „Warum hat Deutschland kein Seebad?“, der Arzt las den Artikel und der Großherzog verkaufte 1.000 brave mecklenburgische Soldaten an den König von Oranien, um den Bau zu finanzieren. Mecklenburg hatte kein Geld in der Kasse, woher auch bei so viel plattem Land.
Heiligendamm soll besonders gut als Seebad geeignet sein, da die mikroklimatische Lage eine Ansaugung von Seeluft bedingen soll. Bereits 1794 gab es die erste Badesaison, die der Großherzog höchstselbst eröffnete.
1872 wurde der Bäderbetrieb nebst den meisten Immobilien in eine Aktiengesellschaft (AG) überführt; durch das zu zeichnende Kapital kam Geld in die Kassen. Der Autor dagegen gab Geld aus und erwarb kürzlich auf einer bekannten Internetplattform den nachfolgend abgebildeten Beleg, unspektakulär mit 10 Pfennig DR Michel 41 I (Erstauflage) ab „Dresden-Neustadt“ 22.6.85 frankiert.



"Damenbrief" von Dresden-Neustadt nach Heiligendamm

Dabei faszinierte den Autor zunächst das kleine Brief-Format, ein sogenannter Damenbrief, was der Blick auf die Anschrift …

Ihre Hochwohlgeboren
Frau von Polenzgeb.(orene) Freiin (Freifrau wbl. Form von Freiherr) von Brockdorffpr. adr. Frau von BülowOstseebad Heiligen Damm bei Doberan

bestätigt. Das kleine Brieflein verdeutlicht gut, was man zum Seebad nachlesen kann: Hier erholte sich der Adel. Ostseeurlaub für alle ging erst ein halbes Jahrhundert später mit der KdF-Bewegung; Prora ist hier ein zutreffendes Stichwort.



Ausschnitt der Briefrückseite mit Ankunftsstempel „Heiligendamm.“

Die in der Briefanschrift versammelten Adelsgeschlechter gehören zu „den besseren“: Die „von Polenz“ entstammen der Mark Meißen, 1180 erstmals urkundlich erwähnt, die „von Brockdorff“ entstammen aus Holstein und haben dort umfangreiche Besitztümer.
Kommt dem Leser, der sich für sächsische Geschichte interessiert, der letztgenannte Familienname nicht bekannt vor?
Von Brockdorff ist auch der Name einer 1680 geborenen Frau Anna Constantia: Überaus schön, lange schwarze Haare, gebildet und ein nicht zu zügelndes Temperament: Die Holsteinerin wird Mätresse August des Starken (BRD Michel 2805). Obwohl dieser von ihrem ersten Ehemann von Hoym ausdrücklich gewarnt wird, bestimmt er sie ganz offiziell zu seiner Mätresse, ausgestattet u.a. mit dem Gut Pillnitz und mit einem Ehevertrag. Als sie diesen in Berlin einfordert, wendet sich ihr Schicksal: Am 24.12.1716 wird sie, ausgeliefert von den Preußen, auf der Festung Stolpen arrestiert und wird dort fast ein halbes Jahrhundert bis zu ihrem Tod 1765 gefangen sein als die Gräfin Cosel.
Eine andere von Brockdorff – die Briefempfängerin nun meines Belegs - logiert 1885 im Seebad bei einer Frau von Bülow, ein noch heute bekanntes Geschlecht schon aufgrund des Humoristen und Karikaturisten Victor von Bülow (1923-2011), kurz Loriot. Dieser war in der BRD ungemein bekannt und beliebt, wovon die vierteilige Markenserie BRD Michel 2836-2839 gleich im Jahr seines Ablebens 2011 zeugt.
Was die meisten nicht wissen: Die von Bülows sind ein stark verzweigtes und einflussreiches Geschlecht aus Mecklenburg, bei www.wikipedia ist nachzulesen, dass sie zwischen 1229 und 1945 in Mecklenburg teilweise abwechselnd 110 Burgen, Güter bzw. Dörfer beherrschten. In Anbetracht der doch dünnen Besiedlung in diesem Landstrich ganz beachtlich.